Eine Fahrrad Beschaffungsromanze. 2020.

F: Da bin ich nun. So als halbfertiges Etwas, zwischen etlichen Kollegen derselben Größe. So hänge ich also herum und warte auf meinen nächsten Einsatz. Zumindest bin ich an dem Ort, der meinem Schriftzug am Unterrohr entspricht, jedenfalls sprechen hier alle dieselbe Sprache und sie passt zu meinem Namen. Den Ursprungsort meiner Entstehung habe ich längt verlassen. Eine lange Reise im Schiffscontainer hat mich hierhergebracht, wo ich nun auf weitere Ereignisse warte. Ich sehe mich nun im Irgendwo. Der Weg von dem ich nie abkomme, solange mich niemand will.

B: Liebe angelt man sich heutzutage auch im Internet, warum dann nicht meine neue Errungenschaft. Schließlich habe ich lange genug auf dich gespart. Unter verdammt vielen habe ich dich ausgesucht und nun endlich gefunden. Winkel, Abmessungen und optische Gesichtspunkte standen dir am besten. Ein Gedicht!

Also stattete ich einen Besuch bei meinem Händler um die Ecke ab, damit er mich zu dir bringt, oder besser gesagt dich zu mir. Eindeutig habe ich mich für deine Figur und Aussehen entschieden. Deine Abmessungen und Winkel versprechen Fahrspaß und Sicherheit. Du erfüllst aktuelle Ansätze wie länger, flacher, tiefer, bist aber kein Hardtail, kein Racefully und auch kein Enduro.

F: Endlich scheint sich etwas zu tun. Nun ja es ist Herbst und spätestens jetzt kommen die Biker mit Hang zum Neuen und dickem Portemonnaie drauf sich für die nächste Saison mit Material einzudecken. Ich bin doch das allerneueste Modell. In Taiwan gebacken, in Form geschliffen und ohne Übergewicht auch extrem formidable. Man gab mir eine eloquente Bezeichnung und ein modernes Aussehen. Meine Farbe ist auch nicht ohne, jedenfalls die über dem Carbon. Aber noch bin ich nackt. So ohne Bestückung und Anbauteile bin ich nur ein teures Gestänge. Zum Ersten fehlt mir eine Gabel, mit der ich mich als Rad zumindest vollständig anerkannt fühle. Ein Dämpfer wäre auch nicht ohne, denn mein Hinterteil drückt mir ohne einen solchen ganz schön ins Kreuz, äh Sitzrohr.

B: Ich will ein 2.0 Bike.12 Gänge die nur mit rauf oder runter bedient werden müssen. Leichter oder schwerer einfach vom Handgelenk aus und nur einfach auch vorne. Kein Nachdenken, kein umdenken und kein Vorausdenken. Nur mehr: mehr oder weniger Entfaltung, je nach Notwendigkeit abhängig von Steigungsprozenten.
Sattel aus dem Weg, damit der Weg durchs Gestrüpp sicherer und fahrbarer wird. Durch das Einfahren der Sattelstütze, wie bei einer Antenne kann das Gefährt in Null-komma-Nix zu einem Abfahrtsgeschoß verwandelt werden. Nicht mehr absteigen müssen, pausenlos hinab ins Atemlos. Neunundzwanzig Zoll für mehr Drive und im Rad sitzen, anstatt draufsitzen. Das Bike im Zeitalter 2.0 macht das Fahren um einiges leichter und flotter. 1 – 12 – 29 – 500 – top drop lautet der Code den mein Neues bezeichnet. Ein Kettenblatt, 12 Gänge bei 500% Bandbreite, 29 Zoll Laufräder und versenkbare Sattelstütze.

F: Nach einer langen Reise bin ich scheinbar angekommen. Mein Herrchen hat mich fahrbereit zusammengestellt, die Dämpfer und Reifen aufgepumpt, Lenker und Sattel ergonomisch justiert und Pedale montiert. Für den ersten Einsatz vorbereitet, stehe ich nun da und warte auf selbigen. Ich warte ungewöhnlich lange, zumindest bilde ich mir das ein. Offensichtlich gibt es Probleme mit Zeitressourcen oder dem Wetter, denn seit gut einer Woche stehe ich mir unbewegt im Keller die Reifen platt. Ich bekam zwar regelmäßigen Besuch, doch mehr als ein Draufsetzen und Einfedern war nicht drin. Kurz bevor ich gefühlt in den Winterschlaf gefallen wäre tut sich was. Mein Eigner hat das Raddress an – er wird doch nicht etwa? Aber ja, die erste Ausfahrt steht an, juhu!

B: Jungfernfahrt. Endlich stimmt das Wetter. Endlich hat das nur anschauen und sich vorstellen ein Ende. Die erste Ausfahrt steht an. Schon beim Wegfahren ist der Quantensprung an Effizienz und Vortrieb zu spüren. Waren es beim letzten Mal schwindelerregende 26“ Laufräder, so dürfen diesmal 29“ Walzen bolzen. Bei selbem Weg rollen die großen Reifen leichter über Unebenheiten. Pro Umdrehung entfalten sich die Großen größer. Wie ein Traktor schraube ich mich die Serpentinen hoch. Die Dämpfer gesperrt, das Rad also straff und immer noch 3 Kränze in Reserve, geht es sehr direkt und komfortabel nach oben. Sehr steile Passagen kann ich im leichtesten Gang problemlos bewältigen. Stellen die mich bislang zum Absteigen gezwungen haben, stellen nun keine Fuß Aufsetzen Notwendigkeit dar.
Bergauf ist diese Jungfernfahrt vollends geglückt und löst den Zweifel in Zufriedenheit auf. Die Theorie und nackten Daten fanden erfolgreich den Einzug in die Praxis.
Bleibt noch die Abfahrt. Dämpfer öffnen, Sattel rein, Ellbogen raus. Und was war das? Das Rad zog wie ein wildgewordenes Tier. Es trieb mich förmlich an Tempo zu machen. Bis auf Spitzkehren in die ich durch den verlängerten Radstand etwas zäh und träge einfädelte, rollte der Panzer sicher und vertrauensvoll in Richtung Schwerkraft. Welch ein Erlebnis, was für eine Euphorie!

Fazit:
Als die Emotionen kamen

Vom Reißbrett über die persönliche Auswahl zur Vorliebe. Daten und Fakten bleiben die großen Unbekannten. Solange das Gefährt nicht bewegt wird, ist es nur ein relativ teures aber großes Spielzeug. Es beginnt sich erst auszuzahlen, wenn es im Einsatz ist. Dann nämlich vereinigen sich die zwei Parteien, also Fahrer und Rad zu einer Einheit. In dieser Eintracht geht es rasant über Wurzeln, elegant durch Kurven und potent über Höhenmeter.
Das ursprünglich abstrakte Zahlenspiel bewährt sich erst in der Praxis, oder auch nicht. Wenn deine Erwartungen voll erfüllt werden hast du gewonnen. Diese Gefühle, dieses Lebenselixier, diese Hormonausschüttung, das sind die punktuellen Höhephasen, die nur der Sport in dieser Art liefern kann. Zumindest dient das Sportgerät als Schlüssel zum Glück. Steht es, bleibt es nur ein sperriges Stück.